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Teure und irreführende Bluttests
Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (www.ssai.ch)
Die klinische Fachkommission und die Kommission Labordiagnostik der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) äussern sich in einer Stellungnahme mit Nachdruck gegen verbreitete, wissenschaftlich nicht gesicherte Tests zur Abklärung von Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintoleranzen. Sie seien teuer, könnten aber keinen Zusammenhang mit Symptomen oder Krankheitsbildern nachweisen. Namentlich treffe dies auf die IgG-Antikörpertests und die ALCAT-Tests zu.
«In der Schweiz ist eine verbreitete Anwendung von ungeeigneten, wissenschaftlich nicht gesicherten Testverfahren zur angeblichen Diagnose von Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintoleranzen festzustellen. Diese kostspieligen Tests sind für die betroffenen Patienten nutzlos. Es gibt bis heute keine überzeugenden Daten aus wissenschaftlichen Studien, die einen Zusammenhang der Testergebnisse mit Symptomen oder Krankheitsbildern nachweisen können. Zu diesen Tests gehören namentlich der IgG-Antikörpertest und die zellulären Zytotoxizitätstests (ALCAT).
Immunologisch bedingte Reaktion
An der Entstehung von immunologisch bedingten Nahrungsmittelallergien sind sogenannte IgE-Antikörper beteiligt, die gegen als Allergene bezeichnete Proteine in der Nahrung gerichtet sind und eine allergische Sofortreaktion auslösen können. Zur Abklärung werden Hauttests (Prick Tests) mit Nahrungsmittelextrakten oder unveränderten (nativen) Nahrungsmitteln eingesetzt und IgE-Antikörpertests im Blut durchgeführt. Die Resultate zeigen nur die Bereitschaft an, eine Nahrungsmittelallergie zu entwickeln – nicht aber die eigentliche Allergie. Die Testresultate müssen deshalb im Zusammenhang mit der Vorgeschichte interpretiert werden.
Häufige Verwechslung
Nahrungsmittelintoleranzen werden oft fälschlicherweise als Allergien bezeichnet, so etwa die Laktoseintoleranz oder die selteneren Intoleranzen auf Konservierungsmittel oder künstliche Farbstoffe (E-Stoffe). Diese gehen ohne Beteiligung des Immunsystems einher. Sie können nicht mit immunologischen Haut- oder Bluttests nachgewiesen werden, sondern werden mit Ausschlussdiäten oder kontrollierten oralen Provokationstests abgeklärt.
Nutzlose Tests
IgG-Antikörpertests und ALCAT-Zytotoxizitätstests werden zur Abklärung einer Vielzahl unterschiedlichster, angeblich durch Nahrungsmittel ausgelöster Beschwerden und Krankheiten angepriesen: Bauchbeschwerden (Blähungen, Völlegefühl, Krämpfe, Durchfall, Reizdarm-Syndrom), Erkrankungen der Atemwege (chronischer Husten, Asthma, wiederkehrende Infekte), Kopfschmerzen und Migräne, rheumatische Erkrankungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Hauterkrankungen (Ekzem, Psoriasis), chronische Müdigkeit, Übergewicht oder auch Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Bei den IgG- oder IgG4-Antikörpertests auf Nahrungsmittel handelt es sich um immunologische Methoden, die zwar Messergebnisse erzeugen, klinisch aber nicht valide sind. Eine klinische Relevanz und Bedeutung der positiven Resultate ist somit nicht belegt. Da Nahrungsmittelallergien durch IgE vermittelt sind und bei Nahrungsmittelintoleranzen aber keine immunologische Sensibilisierung vorliegt, sind die von verschiedenen Firmen und Labors angebotenen IgG- oder IgG4-Antikörper gegen Nahrungsmittelallergene und Zusatzstoffe nutzlos. Zudem sind diese Antikörper gegen Nahrungsmittel auch im Blut von gesunden Menschen vorhanden. Somit hat ihre Bestimmung nachweislich keinen medizinischen Stellenwert bei der Suche nach Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Ungeeignete Empfehlungen
Bei den anderen Bluttests handelt es sich um sogenannte zytotoxische Allergie-Tests, auch Leukozytenaktivierungstests genannt, wie der ALCAT-Test (Antigen Leukocyte Cellular Antibody Test) oder der Cytotoxic Test. Sie werden unter anderem von einigen Ärzten und Laboratorien als diagnostische Verfahren zur Diagnose von Nahrungsmittelintoleranzen durchgeführt. Anhand der Messung einer «positiven Reaktion» der weissen Blutkörperchen des Patienten auf eine Vielzahl von Lebensmittelextrakten und Zusatzstoffen, wird dem Patienten nahegelegt, auf eine Reihe bestimmter Nahrungsmittel zu verzichten, um beschwerdefrei zu werden. Dabei wird suggeriert, dass «Intoleranzen ein wachsendes Problem unserer modernen Zivilisation» seien und «schätzungsweise 78% der Bevölkerung betreffen». Auch wenn die Häufigkeit in den letzten Jahren zugenommen hat, ist diese Zahl nachweislich zu hoch, insbesondere aufgrund der Zahl jener Patienten, bei denen eine Intoleranz nach einer Auslassdiät oder einem Provokationstest eindeutig nachgewiesen wurde.
Für die Laktoseintoleranz wird eine Häufigkeit von rund 15% in der Schweiz angenommen. Von Zöliakie (Intoleranz auf das Klebereiweiss Gluten in verschiedenen Getreidesorten) ist 1% der Bevölkerung betroffen. Unter IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien leiden ungefähr 4–5% der erwachsenen Bevölkerung und 6–8 % der Kinder.
Die Europäische Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI), wie auch die Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (SGAI) und weitere internationale medizinische Fachgesellschaften beurteilen diese zytotoxischen ALCAT-Tests zur Diagnostik von Nahrungsmittelallergien oder -intoleranzen als ungeeignet, insbesondere da keine wissenschaftlich fundierte Überprüfung der klinischen Bedeutung vorliegt. Es empfiehlt sich daher bei derartigen Beschwerden, Rücksprache mit dem Hausarzt oder einem Spezialisten zu nehmen».
Schweizerisches Medizin-Forum 2016;16(5):121–122)