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Ambrosia und das grosse Fressen
Kaum eine andere Pflanze wirkt so allergen wie die Ambrosia artemisiifolia: Bereits 11 Pollen pro Kubikmeter Luft genügen, um starke allergische Reaktionen und Asthma auszulösen. Im Vergleich dazu: Bei Gräsern sind es 50 Pollen. Ein richtiger Allergiker-Schreck, dem vielleicht schon bald ein unscheinbarer Käfer den Garaus machen könnte.
Man kann ihn glatt übersehen. Vier Millimeter gross, hellbraun mit dunklen Streifen. So unscheinbar der Blattkäfer aussieht, so spektakulär sind seine Taten: Das gefrässige Insekt namens Ophraella communa vertilgt ganze Felder von Ambrosia-Pflanzen. Und reduziert damit die Pollenmenge um 80 Prozent, wie Heinz Müller-Schärer, Professor für Ökologie und Evolution an der Universität Fribourg, zusammen mit anderen Forschenden nachgewiesen hat. Das lässt Pollenallergikerinnen und -allergiker regelrecht aufatmen.
Als blinder Passagier eingereist
Noch kann der Käfer in der Schweiz aber nicht auf das gefürchtete Aufrechte Traubenkraut losgelassen werden. «Es braucht weitere Tests, um herauszufinden, ob der Käfer nicht auch an einheimischen Pflanzen knabbert», so Müller-Schärer. Das ist wichtig: Der Blattkäfer wurde nämlich – wie die Ambrosia selbst – aus Nordamerika eingeschleppt; er dürfte um 2013 als blinder Passagier im Flughafen Milano Malpensa gelandet sein und begann sich in Norditalien und in der Südschweiz zu verbreiten. «Solche Eindringliche können die einheimische Fauna und Flora bedrohen», führt Ökologe Müller-Schärer aus. «Bislang scheint aber Ophraella ganz klar Ambrosia als Leibspeise zu haben.» Gemeinsam mit dem Centre for Agriculture and Bioscience International (CABI) in Delémont erforscht er den Ambrosia-Blattkäfer seit Jahren.
Gefährlich für Allergiker, schlecht für den Acker
Die Suche nach einem natürlichen Gegenspieler gegen Ambrosia führte Heinz Müller-Schärer um die halbe Welt. Nach der ersten internationalen Ambrosia-Konferenz 2008 in Budapest wurde klar: Gegen das invasive Unkraut, das nicht nur die Gesundheit gefährdet, sondern als gefürchtetes Unkraut auch Schäden in der Landwirtschaft anrichtet, muss vorgegangen werden. Nicht mit Gift, nicht nur mit mühsamem Mähen, sondern am besten mit einem Kontrahenten, der die Pflanze ganz natürlich im Schach hält.
Biologe Müller-Schärer reiste nach der Budapest-Konferenz in die USA, wo Müller-Schärer zuerst auf «eine kleine Schwester von Ophraella communa traf, und zwar auf Ophraella slobodkini», eine zu Beginn vielversprechende Kandidatin im Kampf gegen Ambrosia. In China traf er dann 2013 auf die «richtige» – Ophraella communa. Sie war dort zufällig eingewandert und richtete grosse Schäden an Ambrosia an. «Kaum zurück in der Schweiz rief mich eine Kollegin des Pflanzenschutzdienstes Tessin an und berichtete von einem Käfer, der in Massen auf den Ambrosia-Pflanzen sitze», erinnert sich der Biologe. Und es war… ebenfalls Ophraella communa! Heinz Müller-Schärer staunte nicht schlecht, der Käfer war auch schon hier! Ein Augenschein vor Ort und in Norditalien offenbarte – überall ratzeputz kahlgefressene Ambrosiapflanzen. Die Top-Kandidatin war gefunden. Der Zufall hatte den Biologen in die Hand gespielt.
Tests, Tests, Tests
Sofort wurde eifrig mit Experimenten begonnen, um herauszufinden, ob Ophraella communa «nur nützt oder auch schadet», so Müller-Schärer. Es wurde eruiert, wieviel Käfer und Larven fressen und welchen Effekt dies auf die Samen- und Pollenproduktion hat. Verifiziert wurde zudem, ob Ophraella nur Ambrosia verzehrt oder auch andere Pflanzen wie die verwandte Sonnenblume. Mittels Züchtung wurde verfolgt, ob sich die Vorlieben auf dem Speisezettel über 10 Generationen verändern. «Die Experimente finden in Fribourg in einer Quarantäne-Kammer und in Norditalien auf den befallenen Feldern statt», erklärt Müller-Schärer. Dabei stünden Biologen, Allergologinnen, Epidemiologen, Aerobiologinnen, Landschaftsökonomen aus ganz Europa im ständigen Austausch. Das erlaube, die Ambrosia-Problematik gemeinsam und über die Landesgrenzen hinweg anzugehen.
Das vorläufige Fazit der Forschenden: «Der Käfer könnte mithelfen, von den jährlich 7,4 Milliarden Euro Kosten, die die Ambrosia europaweit verursacht, rund 1,1 Milliarden Euro einzusparen», so Heinz Müller-Schärer. Der Ambrosia-Käfer «ist eine richtige Fressmaschine, 24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche». Und wie der Name schon sagt, bislang mag der Ambrosia-Käfer einfach Ambrosia. Und die mag sonst niemand.