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«Allergien betreffen alle Lebensbereiche.»
Wie sehr belasten Allergien die psychische Gesundheit von Betroffenen? Eva Kathriner ist Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie und für Psychotherapie FSP. Im Gespräch erläutert sie die wichtigsten Punkte zum Thema Allergien und Psyche.
Frau Kathriner, welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Allergien?
Eva Kathriner: Es gibt einige Betroffene in meinem Umfeld und ich bin deshalb äusserst sensibilisiert auf dieses Thema. Gerade weil durch Allergien häufig Unsicherheiten auftauchen.
Wie oft kommen Menschen mit Allergien zu Ihnen?
In meiner Praxis sind es nur einzelne. Oftmals sind die Allergien eher Begleiterscheinungen und nicht der eigentliche Anmeldegrund. Diese Menschen leiden beispielsweise unter Schlafproblemen, weil sie eine Pollenallergie haben, die sie nachts wachhält. Das Schlafproblem wiederum wirkt sich dann auch auf die Psyche aus.
Gab es auch schon Fälle, in denen Sie die falsche Ansprechpartnerin waren und nicht helfen konnten?
Bisher konnte ich glücklicherweise bei Themen rund um Allergien gut weiterhelfen – was aber nicht bedeutet, dass ich alles alleine lösen konnte. Manchmal war ich auch eher Dreh- und Angelpunkt, um die notwendigen Schritte einzuleiten; beispielsweise eine medizinische Abklärung empfehlen, ein Vernetzen von verschiedenen Fachpersonen ermöglichen oder ich konnte die Personen an die richtigen Fachstellen, wie das Allergiezentrum Schweiz, weiterempfehlen.
Eine Allergie ist eine chronische Erkrankung. Welchen Einfluss hat eine Krankheit, die bestehen bleibt, auf die Psyche der Betroffenen?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Es kommt zum ersten auf die Schwere der Allergie an – allein hier gibt es schon riesige Unterschiede. Dann gibt es Unterscheidungen in Bezug auf die allergenen Stoffe. Ein Beispiel: Wenn jemand Muscheln nicht verträgt, kann er diesem Fakt relativ einfach aus dem Weg gehen – vor einer Pollenallergie hingegen kann man nicht einfach flüchten. Gewisse Stoffe kommen auch in den Grundnahrungsmitteln vor – denen kann man ebenfalls nur schlecht ausweichen. Und schliesslich geht es auch um den Grad der Kontrolle.
Gibt es auch Faktoren in Bezug auf eine Person, die entscheidend sind?
Es gibt Menschen, die sehen das Glas tendenziell immer halb leer. Das ist auch bei Allergien so: Man kann sich darauf konzentrieren, was einen alles einschränkt, oder man legt den Fokus darauf, das Beste daraus zu machen und es als Teil von sich und seines Lebens zu akzeptieren.
Welche zusätzlichen Einflüsse kommen sonst noch vor?
Nahrungsmittelallergien können sehr einschränkend sein. Vor allem weil gewisse Aktivitäten nicht mehr möglich sind; man kann beispielsweise nicht mehr spontan in ein Restaurant einkehren oder muss in den Ferien bestimmte Hotels buchen, welche auf die Allergien Rücksicht nehmen können. Vor allem bei Kindern können die Einschränkungen brutal sein. Wer ein Kind hat, das aufgrund seiner Nahrungsmittelallergie nicht mehr zu Geburtstagsfesten eingeladen wird, kann ein Lied davon singen. Die Kinder können selbst sozial ausgeschlossen werden, wenn sie eingeladen werden, aber nicht vom Geburtstagskuchen essen dürfen. Das kann im schlimmsten Fall zu einem Gefühl von Ausgegrenztsein und Einsamkeit führen.
Gerade starke Allergien können lebensbedrohend sein und Angst auslösen. Was macht das mit einem Menschen und wie geht man damit um?
Angst ist grundsätzlich ein wichtiges Gefühl. Sie sichert unser Überleben und schützt uns davor, in bedrohliche Situationen zu gelangen. Wenn Angst die Warnfunktion übernimmt, dann ist sie sinnvoll und hilfreich. Angst kann aber auch lähmen und wie ein Schatten auf einem lasten. Wer sich aus Angst nicht mehr unter die Menschen wagt, kann depressiv werden. Wichtig: Die mögliche Panik der Eltern sollte sich nicht auf die Kinder übertragen. Bei den Ängsten der Kinder übernehmen die Eltern eine wichtige Rolle. Deren eigene Angst kann sich auf das Erleben des Kindes auswirken.
Nehmen betroffene Kinder diese Angst anders wahr?
Ich denke schon. Das hat auch mit der Hirnentwicklung der Kinder zu tun. Ein ein- oder zweijähriges Kind kann Gefahren oft noch nicht richtig einschätzen. Aber wenn es von Anfang an von seinen Eltern lernt, mit seiner Allergie umzugehen, dann kann das Kind später selbst Kontrolle ausüben. Dies kann wesentlich dazu beitragen, auch mit einer Allergie ein glückliches Leben führen zu können.
Kann man durch diese Belastungen eventuell sogar psychische Erkrankungen bekommen – etwa Depressionen oder Angststörungen?
Ja, leider. Gerade die Angst kann dazu führen, dass Menschen ihren Hobbies nicht mehr nachgehen oder sich sozial zurückziehen. Auch die Unsicherheit der anderen spielen eine Rolle: Man wird plötzlich nicht mehr eingeladen, weil alle Angst haben, etwas falsch zu machen. So verlieren Betroffene die sozialen Kontakte – das kann zu einer Depression führen.
Bei chronischen Erkrankungen wie Allergien kommt es selten zu einer raschen Genesung. Wie findet man einen guten Umgang damit?
Das ist ein interdisziplinäres Thema. Man muss sich auch medizinisch gut informieren und es kann helfen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Dadurch fühlt man sich auch sicherer und man hat die Selbstkontrolle. Auf der psychischen Ebene hilft es, wenn man sich auf die positiven Dinge konzentriert; indem man Hobbys ausübt, die einem gut tun; beispielsweise Bewegung in der Natur oder bewusst gezielte Entspannungsmethoden sowie die Stärkung der eigenen Ressourcen.
Eine Allergie schlägt ja auch immer aufs Gemüt. Wie geht man am besten mit dieser Belastung um?
Hierfür gibt es kein allgemeines Rezept. Für viele ist es hilfreich, sich mit anderen Betroffenen und seinen Liebsten auszutauschen und zu vernetzen. Dabei geht es um die Auseinandersetzung und das Bewusstsein, dass man mit dem Thema nicht allein unterwegs ist. Für die Psyche ist es wichtig, dass man sich verstanden fühlt.
Wie merkt man bei Kindern, ob sie belastet sind?
Auch das ist sehr unterschiedlich, weil Kinder oft komplett anders als Erwachsene reagieren. Bei Veränderungen, die länger andauern oder wenn sich bei einem Kind eine Grundaggression oder eine Weinerlichkeit entwickelt, ist das ein mögliches Zeichen von Frust. Auch Schlafstörungen, ein verändertes Essverhalten oder Rückschritte in der Entwicklung können auf mögliche psychische Probleme hinweisen. Ich empfehle Eltern, hier auch auf das eigene Bauchgefühl zu hören; wenn es einem Kind nicht gut geht, sollte man das ernst nehmen und sich beraten lassen.
Welchen Einfluss können emotionale Faktoren auf allergische Beschwerden haben?
Fakt ist: Der Körper und die Psyche gehören zusammen. Wer gestresst durchs Leben geht, ist anfälliger auf Infekte. Wenn jemand psychisch gut unterwegs ist, fühlt sie oder er sich auch körperlich besser.
Lässt sich das steuern – und wenn ja, wie?
Es wäre vereinfacht, zu sagen, wenn ich schön entspannt bin und wenn ich zu mir schaue, habe ich diese Allergie nicht mehr. Bei zusätzlichen Belastungen zeigen sich manche Allergiebeschwerden aber möglicherweise schon häufiger. Es lohnt sich also, sich genügend zu entspannen und seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Wenn man die Allergie akzeptieren kann und sie nicht immer ins Zentrum rückt, hilft das im Alltag.
Gibt es bestimmte Warnzeichen für psychische Belastung, die man nicht ignorieren sollte?
Hier kommt es sehr darauf an, wie selbstreflektiert man unterwegs ist. Es gibt Menschen, die erst auf Rückmeldungen aus ihrem Umfeld reagieren. Viele Dinge schleichen sich einfach ein und man gewöhnt sich daran. Das kann auch gefährlich sein.
Schämen sich die betroffenen Personen, Hilfe anzunehmen?
Es kommt auf die Hilfe an. Laut meinen Erfahrungen werden körperliche Symptome eher wahr- und ernstgenommen; das wirkt nicht so stigmatisierend. Im Bereich der Psychotherapie ist es genau umgekehrt. Das hat mit der Wahrnehmung von psychischen Problemen in unserer Gesellschaft zu tun. Viele Menschen haben Mühe, Hilfe anzunehmen und denken, dass sie ihre psychischen Probleme selbst lösen können oder müssen.
Welches war Ihr grösstes Erfolgserlebnis in Bezug auf Allergiebetroffene?
Ich kann Ihnen kein einzelnes Beispiel nennen. Vielmehr ist es für mich befriedigend, wenn ich nachhaltig etwas verändern, einen Prozess ins Rollen bringen und dabei Menschen stärken kann. Es geht um das gute Gefühl, das bleibt und um die Sicherheit, die man vermitteln kann. Insbesondere in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist das wichtig und auch immer wieder berührend. Wenn ich sehe, dass junge Menschen wieder mutig und mit Freude durchs Leben gehen und dass sich Eltern auf Grund meiner Arbeit zurücklehnen und entspannen können, ist das für mich ein Riesenerfolg.
Interviewpartnerin: Eva Kathriner ist Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie und für Psychotherapie FSP.
Interview von Denis Jeitziner, erschienen im aha!magazin 2023, das man kostenlos abonnieren kann.