06.05.2025

Die Asiatische Hornisse ist nicht harmlos

In der Schweiz leiden schätzungsweise 3,5 Prozent der Bevölkerung an einer Insektengiftallergie. Neben Bienen, Hummeln und Wespen können auch Hornissen allergische Reaktionen hervorrufen. Die invasive Asiatische Hornisse bildet dabei keine Ausnahme. Mehr wissenswerte Fakten rund um die Insektengiftallergie liefert Anna Gschwend im Interview. Sie ist stellvertretende Leiterin der Poliklinik für Allergologie und klinische Immunologie am Inselspital Bern.

aha!: Auf welche in der Schweiz heimischen Insektenarten sind allergische Reaktionen möglich, und welches Insekt löst am häufigsten Allergien aus?

Anna Gschwend: In der Schweiz und anderen europäischen Ländern spielen Honigbienen, Hummeln, Kurzkopfwespen, Langkopfwespen sowie die Europäische Hornisse als Auslöser von allergischen Reaktionen die wichtigste Rolle. Stiche der Feldwespe sind vor allem in den Mittelmeerländern für allergische Allgemeinreaktionen verantwortlich. Die Kurzkopfwespe zeigt im Gegensatz zu anderen Wespenarten eine Vorliebe für menschliche Nahrungsmittel, so dass Stiche häufig im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln oder deren Zubereitung auftreten. Stiche von Hornissen und Langkopfwespen treten dagegen fast ausschließlich in Nestnähe auf. Aufgrund neuer Trends wie der Hummelzucht kommt es vermehrt auch zu Hummelstichen, die zu systemischen allergischen Reaktionen führen.

In der Schweiz breitet sich die Asiatische Hornisse weiter aus. Wie gefährlich ist das Insekt aus allergologischer Sicht?

Das Gift der Asiatischen Hornisse kann, wie das der Europäischen Hornisse, schwere allergische Reaktionen hervorrufen. Es besteht eine gewisse Übereinstimmung zwischen den Giften der Kurzkopfwespe, der Europäischen Hornisse und der Asiatischen Hornisse. Im Gegensatz zu den südeuropäischen Ländern gibt es in der Schweiz keine spezifische Immuntherapie gegen Hornissengift, so dass Patientinnen und Patienten mit schweren systemischen Reaktionen nach Hornissenstichen mit einem Wespengift behandelt werden.

Bis heute haben wir an unserer Poliklinik in Bern noch keinen Fall einer schweren allergischen Reaktion im Zusammenhang mit einem Asiatischen Hornissenstich abgeklärt. Dies könnte sich in der Saison 2025 ändern. Die Asiatische Hornisse "has come to stay", wie Experten sagen.

Wie kann ich unterscheiden, ob ich allergisch auf einen Insektenstich reagiere oder ob es sich bloss um eine normale Reaktion auf das Gift handelt?

Nicht jede Hautreaktion nach einem Insektenstich ist mit einer Allergie gleichzusetzen. Die Stichreaktionen werden in normale lokale, schwere lokale, systemisch-toxische, systemischallergische und ungewöhnliche Reaktionen eingeteilt. Bei einer systemisch-allergischen Reaktion können je nach Schweregrad verschiedene Organe betroffen sein. Im Bereich der Haut kann es zu Rötung und Wärmegefühl, generalisierter Urtikaria, Juckreiz sowie Schwellungen kommen. Im Magen-Darm-Trakt können Schluckbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen, kolikartige Bauchschmerzen und Durchfall auftreten. Im Respirationstrakt sind Symptome wie Heiserkeit, Sprechstörungen, Atemnot und pfeifenden Atemgeräusche möglich. Der Kreislauf kann mit Blutdruckabfall, Herzrasen oder gar einem Kollaps reagieren. Die allergischen Symptome treten unmittelbar nach dem Stich auf, in der Regel innerhalb weniger Minuten. Symptome, die später als eine Stunde nach dem Stich auftreten, sind in der Regel nicht allergisch bedingt.

Kommt es bei einer Insektengiftallergie häufiger zu einem anaphylaktischen Schock als bei anderen Allergien?

Allergische Reaktionen auf Insektenstiche gehören neben allergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel und Medikamente zu den häufigsten Ursachen von Anaphylaxie bei Erwachsenen. Ich kann nicht sagen, wer an der Spitze des Podiums steht. Das hängt von der Bevölkerungsgruppe und dem Expositionsrisiko ab.

Ein Mythos besagt, dass Imkerinnen und Imker eine Immunität gegenüber Bienenstichen haben – das heisst, ihr Körper soll weniger stark auf das Gift reagieren. Was ist dran an dieser Aussage?

Ich stimme dieser Aussage nicht zu. Allergische Reaktionen im Zusammenhang mit Bienenstichen treten bei Imkerinnen und Imkern sowie exponierten Imkerangehörigen in der Regel deutlich häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Am häufigsten treten allergische Reaktionen im ersten Imkerjahr und bei Imkern mit über 15 Bienenstichen pro Jahr auf. Das Risiko für eine allergische Reaktion liegt dann bei 45 Prozent. Erst bei mehr als 200 Bienenstichen pro Jahr sind die Imker in der Regel vor allergischen Reaktionen geschützt.

Gibt es Kreuzreaktionen zwischen der Insektengiftallergie und anderen Allergien?

Die allergischen Reaktionen werden durch verschiedene Proteine im Insektengift ausgelöst, beispielsweise Phospholipase, Hyaluronidase, Dipeptidylpeptidase oder Vitellogenin. Kreuzreaktivität besteht zwischen verschiedenen Insektengiften, aber kaum zwischen Insektengiften und anderen Allergenen wie etwa Nahrungsmittel oder Tierallergene.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Insektengiftallergien?

Die einzige kausale und hochwirksame Therapie der Insektengiftallergie ist die venomspezifische Immuntherapie (VIT). Bei einer Bienengiftallergie liegt die Wirksamkeit bei 85 Prozent, bei einer Wespengiftallergie bei 98 Prozent. Eine VIT ist bei jeder Person angezeigt, die nach einem Insektenstich eine systemische Reaktion mit Beteiligung der Atemwege und/oder des Kreislaufsystems erlitten hat. Bei Personen mit hohem Stichrisiko oder bei Risikoberufen ist die VIT auch bei nicht lebensgefährlichen Reaktionen indiziert. Das ist beispielsweise der Fall bei Imkern, Landwirtinnen und Landschaftsgärtnern oder Chauffeuren, Piloten und Dachdecker. Empfohlen wird die VIT zudem für die Patienten mit Mastozytose.

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